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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.12.2008
Aktenzeichen: 13 E 1108/08
Rechtsgebiete: LPG, SGB II


Vorschriften:

LPG § 6
SGB II § 8
Ein von dem Betroffenen geltend gemachtes Begehren auf Widerruf der in einem amtsärztlichen Gutachten gestellten Diagnose scheitert regelmäßig daran, dass es sich um ein auf der fachlichen Einschätzung des Arztes beruhendes Werturteil handelt.
Tatbestand:

Die Klägerin wurde im Rahmen der Bearbeitung eines von ihr gestellten Antrags auf Leistungen nach dem SGB II einer amtsärztlichen Untersuchung im Hinblick auf ihre Erwerbsfähigkeit unterzogen. Die Amtsärzte kamen auf der Grundlage einer Blutuntersuchung u. a. zu dem Ergebnis, dass die Klägerin alkoholkrank sei. Gegen diese Feststellung im amtsärztlichen Gutachten machte die Klägerin einen Unterlassungs- und Widerrufsanspruch geltend, den der betreffende Kreis zurückwies. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein entsprechendes Klageverfahren wurde von dem VG zurückgewiesen. Auch die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Das VG hat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. zu Recht wegen fehlender Erfolgsaussicht der Klage (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO) abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen.

Dies gilt zunächst für den geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch. Dieser richtet sich auf das Unterlassen rechtswidriger hoheitlicher Eingriffe in subjektive Rechte und setzt unter anderem voraus, dass eine Beeinträchtigung konkret droht. Dies kann insbesondere dann angenommen werden, wenn bereits ein entsprechender Eingriff stattgefunden hat (Wiederholungsgefahr). Allerdings kann nicht immer von einer bereits eingetretenen Beeinträchtigung auf die Gefahr zukünftig drohender Beeinträchtigungen geschlossen werden. Ein solcher Schluss kommt nicht in Betracht, wenn nach der Art der Störung oder auf Grund der Umstände des Falles eine Wiederholung vernünftigerweise nicht zu befürchten ist.

Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, Teil 7 Abschn. III 1 (S. 300 f.), sowie - zum presserechtlichen Unterlassungsanspruch - Steffen, in: Löffler, Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 6 LPG Rdnr. 263 ff.

Das VG hat plausibel begründet, warum die Gefahr einer Wiederholung nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht zu befürchten ist. Dem ist die Klägerin mit ihrer Beschwerde nicht entgegen getreten, nachdem sie schon im Verfahren vor dem VG nicht aufgezeigt hatte, was sie zur Annahme einer Wiederholungsgefahr veranlasst.

Der Senat teilt auch die Auffassung des VG, dass ein Widerrufsanspruch nicht gegeben sein dürfte. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Gegenstand eines Widerrufsanspruchs regelmäßig nur Tatsachenbehauptungen sein können, nicht aber Werturteile.

Vgl. BGH, Urteile vom 3.5.1988 - VI ZR 276/87 -, NJW 1989, 774, und vom 25.11.1986 - VI ZR 57/86 -, BGHZ 99, 133, jeweils m. w. N.; ebenso Ossenbühl, a. a. O., Teil 7 Abschn. III 3 (S. 306).

Anerkannt ist des Weiteren, dass es sich bei ärztlichen Diagnosen grundsätzlich um Werturteile handelt. Zwar werden in entsprechenden ärztlichen Äußerungen regelmäßig auch Tatsachen behauptet, etwa die Beobachtung bestimmter, der Diagnose zugrunde liegender Symptome. Der Schluss, den ein Arzt mit einer Diagnose aus den vorliegenden Fakten zieht, ist jedoch eine aus seiner fachlichen Einschätzung gewonnene Bewertung und nicht die Behauptung einer Tatsache.

Vgl. nur BGH, Urteile vom 11.4.1989 - VI ZR 293/88 -, NJW 1989, 2941, und vom 3.5.1988 - VI ZR 276/87 -, NJW 1989, 774; BayVGH, Beschluss vom 21.8.1986 - 5 B 85 A.2461 -, BayVBl. 1987, 401; für Sachverständigengutachten im Allgemeinen auch BGH, Urteil vom 18.10.1977 - VI ZR 171/76 -, NJW 1978, 751.

Von einer dem Widerruf zugänglichen Tatsachenbehauptung ist nur in Ausnahmefällen auszugehen, etwa wenn eine die Schlussfolgerung tragende Befunderhebung nur vorgetäuscht ist, wenn die Befunderhebung in fachlich-methodischer Hinsicht ersichtlich defizitär ist oder wenn dem Gutachter jedwede Kompetenz für die Beurteilung der in Rede stehenden Fragen fehlt. Die einem Widerruf zugängliche Tatsachenbehauptung liegt in diesen Fällen in der unwahren konkludenten Behauptung, das Gutachten sei auf einer in Wirklichkeit nicht bestehenden fachlichen Grundlage erstellt worden.

Vgl. neben den vorstehend zitierten Entscheidungen auch VG Augsburg, Urteil vom 21.11.2007 - Au 4 K 07.624 -, juris.

Vorliegend stellt sich die Erklärung, bei der Klägerin liege ein "C2H5OH-Abusus", also ein Alkoholmissbrauch, vor, als medizinisch begründete Schlussfolgerung aus dem Ergebnis der vorgenommenen Untersuchungen dar. Wie das VG zu Recht ausführt, kann diese Schlussfolgerung sich möglicherweise als irrig oder zweifelhaft erweisen; als Werturteil der beteiligten Ärzte kann sie nach den oben genannten Grundsätzen aber nicht zum Gegenstand eines Widerrufsbegehrens gemacht werden. Es liegt auch nicht der beschriebene Fall einer ersichtlich haltlosen, ohne fachlich fundierte Grundlage getroffenen Äußerung vor, in dem ausnahmsweise ein Widerruf verlangt werden kann. Denn ausweislich des Schriftsatzes des Beklagten vom 2.10.2008 und des beigefügten Laborberichts vom 12.6.2007 beruht die Annahme eines Alkoholmissbrauchs auf konkreten Ergebnissen der durchgeführten Blutuntersuchung, nämlich dem festgestellten Carbohydrat-deficient-trans-ferrin-Wert (CDT) und dem ermittelten Mittleren Corpusculären Volumen (MCV). Dies sind anerkannte Diagnosekriterien für den Alkoholmissbrauch.

Vgl. nur Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl., Stichwort "Alkoholkrankheit".

Zweifel in Bezug auf die fachliche Qualifikation der beteiligten Ärzte sind ebenfalls nicht erkennbar. Einen "ärztlichen Diagnosefehler", den die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 18.11.2008 geltend macht, vermag der Senat nicht zu erkennen. Soweit die Klägerin vorträgt, es hätte zumindest eine weitere Kontrolluntersuchung zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden müssen, ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass die Ärzte hier in erster Linie einen konkreten Gutachtenauftrag des Beklagten auszuführen, nämlich der Frage der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach § 8 SGB II nachzugehen hatten. Dass es der Klägerin unbenommen war, die Diagnosen durch weitere Untersuchungen ihrer eigenen Ärzte zu hinterfragen, versteht sich von selbst.

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